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HORROR # 55

 

gesehen von Peter L. Opmann

 

 
Der Erwerb dieses Hefts war für mich ein Einschnitt. Inzwischen hatte ich genug Taschengeld und besorgte mir Comics regelmäßig selbst. Ich weiß noch, daß ich diese Serie ausprobieren wollte und die Ausgabe auf dem Weg zur Orgelstunde gekauft habe. Es war ein großer Raum mit sechs bis acht elektronischen Orgeln für die Schüler. Vorne saß der Lehrer an seinem eigenen Instrument und hörte sich die musikalischen Versuche per Kopfhörer an. Während ich darauf wartete, daß ich drankam, habe ich heimlich ein bißchen in dem Heft gelesen. 

Ich fühlte mich fast so, als ob ich gerade den „Playboy“ erstanden hätte. Immerhin handelte gleich die erste Geschichte von Ehebruch. Carl erblickt in einem Spiegel seine Traumfrau und benutzt diese Tür in eine Parallelwelt, um sie zu treffen. Seine häßliche Gattin hat Verständnis, aber sie zerstört nach seinem Abschied den Spiegel. Die Traumfrau enthüllt Carl darauf, daß sie ihn nur deshalb in ihre Welt gelockt hat, um daraus entkommen zu können, und daß sie in Wirklichkeit eine superhäßliche Hexe ist. 
Ein Schock für mich und wohl die erste erotische Comicgeschichte, die ich je gelesen habe. Nach der Lektüre fehlte mir die rechte Konzentration zum Vorspielen meiner Etüden. 

Die zwei anderen Horrorstorys hatten es aber auch in sich: Ein Rockstar paktiert mit dem Teufel. Er verleiht ihm die Fähigkeit zu schweben, was seine Bühnenacts aufwertet. Aber dann schwebt er davon und stirbt jämmerlich in der Stratosphäre. 
Und eine Baroness findet einfach keinen Lover, weil sie ein Vampir ist und die Kavaliere aussaugt, bevor sie sie küssen kann. Nur bei Graf Ivor scheint es anders zu sein. Bis sich herausstellt, daß er ein Werwolf ist und sich schneller verwandelt, als sie zuschnappen kann. 

In diesem Heft siegt nirgendwo das Gute, vielmehr werden die Pläne der Protagonisten immer auf perfide Weise durchkreuzt. Parallelwelten, Werwölfe und Kontrakte mit dem Teufel haben mich nicht unbedingt in Schrecken versetzt, aber die negative Weltsicht hat sich mir schon mitgeteilt, und so stellte dieses unscheinbare Comicheft mir plötzlich tiefere Lebensfragen. 
Aber „Horror“ war auch einfach gut gezeichnet. Da waren Leute wie Alfredo Alcala, Alex Nino, Rubeny oder Jerry Grandenetti am Werk. Und gute – individuell erkennbare – Zeichnungen lernte ich allmählich immer mehr schätzen.
  
  
Peter L. Opmann, 19.07.2007
 
 
 

  ARTIKEL © 2007 PETER L. OPMANN

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