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DIE RUHMREICHEN RÄCHER # 56

 

gesehen von Peter L. Opmann

 

 
Nach der Cap-Zeitreise kam gleich wieder eine epochale Ausgabe (wie auf dem Cover angekündigt). Roy Thomas führt hier den Androiden Vision und den Roboter Ultron-5 ein. Vision kann die Molekularstruktur seines Körpers beliebig verändern und sich sowohl völlig durchlässig als auch diamantenhart machen; Ultron – sein Schöpfer - ist eine Art „mad scientist“. 
Zur Herkunft beider Charaktere hält sich Thomas zunächst ziemlich bedeckt. Etwas später erfahren wir, daß Vision eine mentale Reinkarnation des ambivalenten Wundermann aus Rächer # 8 und daß Ultron einst von Henry Pym selbst zusammengebastelt worden ist. Obwohl also zunächst vieles offen bleibt, gelingt Thomas eine atmosphärisch dichte und spannende Ausgabe, und auch John Buscema gibt sich Mühe und experimentiert mit ungewöhnlicher Panelaufteilung und freigestellten Panels, die nach meiner Ansicht den Science-Fiction-Touch der Story betonen sollen. Darin sollte er freilich bald darauf von Gene Colan und Barry Smith deutlich übertroffen werden.

Vision wird eindrucksvoll eingeführt, indem er der Wespe wie ein Gespenst erscheint. Der Android verliert dann aber das Bewußtsein, was sie dazu nutzt, den zu Hilfe eilenden Goliath zusammenzustauchen, mit dem sie sich kurz zuvor gestritten hatte. Da brachte der Autor wohl Erfahrungen im Geschlechterkampf ein. Der Mittelteil des Bandes hängt ein wenig durch: 
Wir verfolgen „Alltagsaktivitäten“ von Falkenauge und dem Schwarzen Panther, bevor beide zur High-Tech-Analyse von Vision ins Rächer-Hauptquartier gerufen werden. Vision, der allmählich wieder zu sich kommt, will sich aber nicht ohne weiteres untersuchen lassen und demonstriert den Rächern seine Macht. Dann sinkt er wieder deprimiert in einen Sessel, denn er weiß nicht, wer er ist. Schließlich bringt er das Superheldenteam aber doch auf die Spur von Ultron, dem sie folgerichtig einen Besuch abstatten.

Goliath wird von einem Riesen-Androiden k.o. geschlagen, den Ultron wie einen Bodyguard benutzt – Zemo hatte im vorherigen Heft ja auch solche Gesellen zur Hand. Die übrigen Rächer gehen in eine Falle: Metallwände rücken auf sie zu, um sie zu zerquetschen. Vision kann von einem solchen Gefängnis natürlich nicht aufgehalten werden und tritt nun endgültig Ultron-5 Auge in Auge gegenüber. Beide Wesen sind per definitionem ohne menschliche Emotionen. Aber bei Vision werden wir bald merken, daß er sehr wohl Gefühle haben kann („Auch Androiden können weinen“), und er seinerseits schafft es, Ultron so zu reizen, daß er sich auf Vision stürzt, durch ihn hindurchfliegt und dann irgendwie explodiert (worauf er da knallt oder was die Explosion auslöst, bleibt strenggenommen offen, aber ich wußte damals schon, was gemeint war).

Sehr Rächer- und überhaupt Superhelden-untypisch ist ein Epilog, bestehend aus einem lyrischen Text über einen grimmigen Totenschädel und die Vergänglichkeit aller Dinge und einer Bilderfolge. Sie zeigt einen kleinen Jungen, der den vom Rumpf getrennten Kopf von Ultron-5 findet, ein wenig mit ihm spielt und ihn dann achtlos in den Dreck wirft. So schön diese Sequenz ist – ehrlich ist Roy Thomas hier nicht. 
Denn Ultron kehrte natürlich schon bald ins Marvel-Universum zurück. Und ich würde ihm keinesfalls abkaufen, daß er das zu diesem Zeitpunkt nicht geplant hatte, denn noch war ja völlig offen, wer Ultron überhaupt war.

Der Eiserne führt in der Füllstory sein Duell mit dem nur mäßig beeindruckenden Einhorn zuende. Ganz witzig fand ich den Schluß, wo er ein Passagierflugzeug mit dem Schurken an Bord demoliert und zum Absturz bringt (die Insassen können sich mit Fallschirmen retten – der Held soll ja nicht zum Mörder werden). Das Einhorn entkommt übrigens, weil es aus eigener Kraft fliegen kann – fragt sich bloß, warum es dann im Flugzeug saß.

Nachtrag:

Das Motiv des gefühllosen Androiden hat mich in den folgenden Jahren noch schwer beschäftigt. Ich denke, es ist ein Pubertätsthema, denn da hat man Probleme mit Leuten, die ihre Gefühle nicht zeigen (oder man kann sie jedenfalls nicht deuten). Die große Frage ist: Werde ich von anderen akzeptiert, oder lehnen die mich insgeheim ab? 1982 habe ich mich hingesetzt und eine längere Science-Fiction-Story mit dem Titel „Téte à téte mit einem Androiden“ geschrieben. Inzwischen kannte ich ein paar Romane von Philip K. Dick, darunter „Do Androids dream of electric Sheep?“, aber der erste Auslöser war dieses Rächer-Heft.

Das Manuskript habe ich dann an Thomas LeBlanc geschickt (heute Leiter der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, damals Herausgeber einer Reihe deutschsprachiger SF bei Goldmann), und er schickte mir immerhin eine schriftliche Absage, in der er sehr zutreffend feststellte, ich hätte noch sehr wenig Erfahrung im Schreiben. Darauf habe ich den Stoff in einem siebenteiligen Comic verarbeitet (insgesamt 28 Seiten), der etwas später in Fortsetzungen im Fanzine PLOP erschien. Ich war einfach davon überzeugt, dass das Androiden-Thema sehr wichtig war. Aber irgendwann hatte ich schließlich meine Pubertät auch hinter mir…
  
  
Peter L. Opmann, 19.07.2007
 
 
 

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