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DIE RUHMREICHEN RÄCHER # 63

 

gesehen von Peter L. Opmann

 

 
Ich hatte mich damals sehr gefreut, daß Gene Colan, den ich schon vom „Dämon“ und „Dracula“ kannte, die Serie übernahm, und war entsprechend enttäuscht, als klar wurde, daß es sich nur um ein grafisches Intermezzo von drei Ausgaben handelte. 
Für mich war er ein visionärer Zeichner, insbesondere in der mittleren Ausgabe, der # 63. Und auch die Story von Roy Thomas war hier sehr wirkungsvoll konstruiert.

Im Gegensatz zu vielen anderen Marvel-Zeichnern habe ich Gene Colan sehr wenig zu kopieren versucht. Was ich von ihm zu übernehmen versuchte, war seine unkonventionelle Panelaufteilung. Ansonsten war er ein schwieriges Vorbild, weil er sich wenig wiederholte, ich mir also kaum Muster von ihm abschauen konnte. Er fand immer neue extrem verzerrte Perspektiven, er verdrehte die Körper auf immer wieder andere verrückte Weisen, und außerdem waren seine Gesichter sehr individuell und lebendig, und er hatte eine sehr ausgefeilte Licht-Schatten-Technik, die natürlich später bei Dracula – mit Inker Tom Palmer – am besten zur Geltung kam. 
Natürlich war das Artwork von Gene Colan jederzeit gut wiedererkennbar, aber es war für mich trotzdem außerhalb der Reichweite. Ich hätte gern mehr Rächer-Abenteuer von ihm gesehen. Später habe ich mir sogar ein paar Batman-Hefte gekauft, weil sie von Colan gezeichnet waren (Ehapa-Superheldencomics interessierten mich zu dieser Zeit sonst kaum).

Schon die Eröffnung dieses Hefts ist ganz anders als gewohnt: 
Eine ringförmige Raumstation schält sich aus dem Sternenhimmel, während ein Kinderreim zitiert wird, und beginnt, die Erde zu beschießen. Dann kommt erst das Splashpanel, und zwar gleich über zwei Seiten hinweg. Ziemlich detailliert wird das Zerstörungswerk des „Todesstrahls aus dem All“ gezeigt. 
Die Rächer wollen sich eben darum kümmern, da betritt der neue Goliath die Szene – Clint Barton, bisher unterwegs als Falkenauge. Zum Zeichen dafür, daß diese Figur der Vergangenheit angehört, zerbricht Goliath Falkenauges Bogen.

Gleich darauf wieder Besuch im Rächer-Hauptquartier: ein Unterwelt-Boß, der in Rückblenden von den Welteroberungs-Plänen des verrückten Wissenschaftlers Eierkopf erzählt, an denen er sich beteiligen sollte. Unter seiner Führung fliegen die Rächer in ihrer Dienst-Rakete zu der Raumstation, um Eierkopf unschädlich zu machen. Das gibt noch einmal Gelegenheit zu einem doppelseitigen Panel, das – nicht ganz so eindrucksvoll wie das erste – den Kampf der Rächer gegen Eierkopfs Roboterarmee zeigt. 
Doch konzentrieren wir uns zunächst auf die Story. Die kulminiert in zwei Clous, einen eher konventionellen und einen geschickt eingefädelten, die aber beide miteinander verbunden sind.

Erstens: Eierkopf schafft es, die Rächer mit speziell vorbereiteten paralysierenden Strahlen außer Gefecht zu setzen. Er hat aber den mitgekommenen Gangsterboß übersehen, der sich auf ihn stürzt und die Strahlenkanone kaputt macht, wobei er sein Leben läßt. 
Zweitens: Die Identität des Gangsterbosses wird aufgedeckt. Als er bei den Rächern auftauchte, hatte der neue Goliath ziemlich widersprüchlich auf ihn reagiert. Einerseits beschimpfte er ihn als „Ratte“, die im Dreck herumkriecht. Als ihn seine Mitkämpfer aber hochkant rauswerfen wollen, setzt er sich dafür ein, ihn anzuhören. Hinterher wechselt er wieder zu Verachtung: „Deine Story ist ebenso falsch wie ne Drei-Dollar-Note! Du willst nur nicht riskieren, daß deine Einnahmequellen durch den Todesstrahl von der Landkarte geputzt werden! Oder, du Ratte??“ 

Ganz zum Schluß erklärt sich Goliath, nachdem Gelbjacke bemerkt hat, daß sich die beiden mit Vornamen angeredet haben: „Warum sollte er meinen richtigen Namen nicht wissen, Hank? Schließlich war er mein Bruder.“ 
Für einen Comic, der sich schwerpunktmäßig an etwa Zwölfjährige richtet, war das ein recht ungewöhnliches Durchbrechen des Gut-Böse-Schemas und durch den Tod des Gut-Bösen recht berührend.

Zurück zur Grafik: 
Die drei von Gene Colan gezeichneten Rächer-Bände waren für mich einige Zeit lang das Nonplusultra des Comiczeichnens. 1982 kam ich dann mit dem Comiclabor in Kontakt, dessen Mitglieder gerade die Herausgabe eines neuen Horrormagazins namens „Menschenblut“ vorbereiteten. 
Deren Vorbilder waren die Zeichner des amerikanischen Undergrounds wie Richard Corben oder Jack Jaxon, der französische Star Moebius oder filigrane Stilisten wie Jacques Tardi oder Alex Toth (gut, einer von ihnen war William-Vance-Fan, aber zeichnete selbst kaum). Für mich waren alle diese Künstler noch ziemlich neu. Aber so langsam wurde Gene Colan von seinem Spitzenplatz verdrängt. Noch heute nehme ich indes Marvel-Comics aus seiner Feder gern zur Hand – und sogar den einen oder anderen Batman.

Die Episode des Eisernen, die in diesem Heft beginnt, ist im Prinzip nicht uninteressant – von der Story her, weil der Eiserne in den Verdacht gerät, Tony Stark umgebracht zu haben (dessen andere Identität er ist), und auch grafisch gibt Don Heck wieder mal sein Bestes. Aber viel mehr gibt’s dazu eigentlich nicht zu sagen.
  
  
Peter L. Opmann, 19.07.2007
 
 
 

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