Seite geändert am:

 

 

MARVEL SONDERAUSGABE # 2: DER WEISSE HAI 2

 

gesehen von Peter L. Opmann

 

 
Man sollte sich mal bewußt machen, daß Marvel – bei aller Hochachtung – zu 90 Prozent Konfektionsware produziert. Welche Vielfalt dagegen bei einem Verlag wie Dargaud, obwohl es auch dort Alben-Konventionen und vorherrschende Stile gibt. 
Dieses Marvel-Heft war das erste, das ich in die Hand bekam, das vom Superhelden-Schema abwich. Und ich finde noch heute, daß es ein gut gelungener Comic ist, auch wenn eine Filmadaption nicht gerade mit Originalität glänzt und die Filmvorlage wohl nicht unbedingt ein Meisterwerk war.

Den Film habe ich nie gesehen, aber etwa gleichzeitig mit der Comicversion habe ich auch die entsprechende MAD-Parodie gelesen, die keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um eine ziemlich dümmliche Fortsetzung eines geschickten Thrillers handelt. Trotzdem hat Richard Marschall (ein Autor, der sonst weniger in Erscheinung getreten ist) den Aufguß recht spannend nacherzählt – den fehlenden ersten Teil vermißt man nicht. 
Vor allem aber ist die Hai-Panik von Gene Colan und Tom Palmer hervorragend in Szene gesetzt. Nur eine Einschränkung würde ich heute machen: Den Schauspieler Roy Scheider können beide nicht porträtieren, gleiches dürfte für die anderen Akteure gelten. Aber die etwas überformatigen Comicseiten zeichnen sich durch die richtige Mischung aus Detailreichtum und Dramatik sowie aus Realismus und Colans speziellem leicht karikierendem Strich aus, und die Colorierung ist aufwendig und gelungen.

Natürlich hat mich als Teenager auch die in der Story dominierende Teenagererotik angesprochen, obwohl ich noch nicht soweit war, irgendwelche Mädchen „abzuschleppen“. Die typisch amerikanische Verbindung von Sex und Bestrafung hat ihre Wirkung auf mich auch nicht verfehlt. Heute würde ich eine so rigide Moral (Jugendliche, die verbotenerweise auf Segelbooten aneinander herumfummeln, werden zur Strafe vom Hai gefressen) natürlich nicht mehr schlucken. Aber es wurden zugleich die großen Themen Liebe und Tod angerissen. Das Bild von jungen Leuten, die sich in einem Moment ihres Lebens freuen und im nächsten im Rachen des Hais zappeln, berührt mich schon immer noch. Das sind gewissermaßen Splatter-Effekte, die wirken, weil sie mit Szenen des harmlosesten Strandlebens kontrastiert werden.

Für den Rest der bei Williams veröffentlichten Film-Comics gilt, dass die Zeichner noch nicht auf der Höhe ihres Könnens waren (Howard Chaykin bei „Star Wars“ und Walt Simonson bei „Close Encounters“) oder nicht unbedingt ihre besten Arbeiten ablieferten (George Tuska bei „Planet of the Apes“). Mike Ploogs Schwarzweiß-Affen-Comics, die nicht mehr der Filmvorlage folgen, sind allerdings vorzüglich. 
Später bin ich noch auf die Marvel-Adaption des „Blade Runner“, gezeichnet von Al Williamson und Ralph Reese, gestoßen (zwei Hefte, leider nie auf deutsch veröffentlicht), die den Film auf 40 Seiten gut wiedergab. Gene Colan hat Arbeiten in vergleichbarer Qualität wie beim „weißen Hai“ zum „Howard the Duck“-Schwarzweiß-Magazin beigetragen. Das heißt, manche Zeichner auf der Marvel-Gehaltsliste konnten sicherlich mehr, als sie bei der täglichen Arbeit zeigen konnten.
  
  
Peter L. Opmann, 19.07.2007
 
 
 

  ARTIKEL © 2007 PETER L. OPMANN

ALL IMAGES AND CHARACTERS  TM & © MARVEL ENTERTAINMENT, LLC. ALL RIGHTS RESERVED