Seite geändert am:

 

 

CHECKLISTE

COVER-GALERIE

 

HINTERGRÜNDIGES ZU KUNG FU

 
Unter den Marvel-Veröffentlichungen von Williams nimmt die Kung Fu-Reihe eine Sonderrolle ein: Es ist die einzige Taschenbuch-Reihe. 
Sie starte (soweit bekannt bundesweit gleichzeitig, unter Umgehung des Phasenvertriebs)
im Februar 1976, erschien alle zwei Monate, Umfang jeweils 196 Seiten, mit mattem Papier und einem guten Handlettering versehen, und einem mehr oder weniger Schwarz-Weiß-Druck (eigentlich dreifarbig, denn neben Schwarz und Weiß wurde eine dritte Farbe verwendet, ein Orange-Braun). Die US-Vorlage THE DEADLY HANDS OF KUNG FU (im Magazin-Format) ist hingegen nur schwarz-weiß.

Die deutschen Veröffentlichungen begannen mit gerade einmal zwei Jahren Verzögerung, denn die US-Serie wurde erst im April 1974 gestartet - mitten während des (weltweiten) Kung Fu-Booms. Das für Williams ungewöhnliche Taschenbuchformat war dabei wohl ein weiterer Versuch, diesmal eben mit einem anderen Format, (mehr) Erfolg zu erzielen - die Konkurrenz von Ehapa/Bastei machte schließlich vor, wie erfolgreich man sich mit Taschenbuchausgaben am Markt behaupten konnte. 

Auch gab es mit Marvel USA wohl von vorne herein nur einen Lizenzvertrag über ein Jahr; ein Versuchsballon also,  der für Williams aber offensichtlich nicht aufging, da das Projekt nach nur einem Jahr eingestellt wurde. Die veröffentlichten 6 Taschenbücher sollen dabei eine Auflage von jeweils 20.000 Stück gehabt haben.
  

DIE CHARAKTERE IN KUNG FU


In der US-Serie wechselten sich verschiedene Helden ab, anfänglich nur Shang-Chi INFO und Die Söhne des Tigers
INFO, später gab es in den USA darüber hinaus auch noch  Storys mit Iron Fist INFO sowie diverse Füllstories. Die Williams-Redaktion beschränkte sich bei ihrer Auswahl aber auf Shang-Chi und Die Söhne des Tigers, ergänzt durch den Abdruck einer Captain America-Story sowie eine der Füllstory.

Schöpfer von
Shang-Chi ist Steve Englehart, der allerdings nur die ersten zwei Deadly Hands-Ausgaben schrieb und sich dann anderen Aufgaben widmete. Gezeichnet wurden die beiden Storys dabei von Co-Autor Jim Starlin, was sich in recht stimmungsvollen Arbeiten ausdrückt. Gleichzeitig sind dies auch die einzigen Arbeiten dieses Kreativ-Teams, die bei Williams erschienen sind. 
Steve Englehart wird nicht zuletzt wegen seiner herausragenden Avengers-Storys viel gerühmt (er übernahm von Roy Thomas, leider erschienen Engleharts Storys nicht mehr bei Williams); Jim Starlin vor allem für seinen "galaktischen" Helden Warlock, aber auch den Schurken Thanos (Infinity Trilogie etc.) sowie den Helden Dreadstar, der (anfänglich) unter dem Marvel Sub-Label Epic Comics veröffentlicht wurde. 
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß ein Teil der Dreadstar-Storys auf Deutsch im Epic-Magazin von Condor erschienen sind; das Magazin gehört ohne Zweifel zum Besten, was Condor veröffentlicht hat - vor allem auch in Punkto Aufmachung (u. a. maschinelles Handlettering).
Das Team Englehart/Starlin übergab das Ruder anschließend an Autor Doug Moench (Autor der Planet der Affen Geschichten) und Zeichner wie Paul Gulacy und Mike Vosburg.

Bei der Figur Shang-Chi fühlt man sich unwillkürlich an die Kung Fu-TV-Serie erinnert, von der sich Englehart zweifellos inspirieren lies: ein etwas orientierungslos wirkender, moralisch hochanständiger, einsamer Kung Fu-Recke, der barfuß durch Kalifornien umherzieht - immerhin, Shang-Chi ist kein Shaolin-Mönch. J
Bereichert wird der Plot allerdings durch den Schurken Fu Manchu INFO, der dem Helden das Leben schwer macht und der Vater Shang-Chis ist...

Abwechselnd mit Shang-Chi veröffentlichte Williams Die Söhne des Tigers; Schöpfer dieses Teams sind das "Marvel Wunderkind" Gerry Conway und Zeichner Don Perlin
Beide blieben der Serie nicht lange treu und übergaben das Ruder nach wenigen Ausgaben zunächst für eine Story an Dennis O`Neil (der hier unter dem Pseudonym Jim Dennis schrieb und vor allem für DC arbeitete), die folgenden bei Williams veröffentlichten Storys sollte dann Marvel-Urgestein Bill Mantlo verfassen; für die Zeichnungen ab Deadly Hands
#6 (Taschenbuch #3) zeichnet George Pérez verantwortlich - einer der bekanntesten und beliebtesten US-Zeichner überhaupt, der zahllose Storys zeichnete, für Marvel ebenso wie für DC.

Inhaltlich unterscheidet sich die Serie deutlich von Shang-Chi: Drei Helden, ein reicher Weißer, ein armer Schwarzer und ein Amerikaner asiatischer Herkunft bilden zusammen ein Team, das sich vor allem in New York tummelt. Es vereint sie die Jagd nach den Mördern ihres Lehrers und Mentors, Meister Kee, dessen Tod sie rächen wollen. 
Neben ihren Kampfsport-Fähigkeiten verfügen die Helden über drei Amulette, die ihre Kräfte noch erhöhen und ihre Kämpfe koordinieren ("sie kämpfen wie ein Mann"). Ihre erste Storyline erstreckt sich über einige Geschichten, die von Williams im sechsten Taschenbuch auch zu Ende geführt wurde.

Insgesamt zeichnen sich beide Serien durch sehr viel Action, relativ viel Gewalt und teilweise auch Brutalität aus. Hier tun sich vor allem die Storys um die Tiger hervor: Da schrecken die Protagonisten auch nicht davor zurück, zu töten - etwas das Marvel-Helden normalerweise nicht tun. 
Möglich war dies nur, weil Marvel die S/W-Magazine ohne den "Segen" der Comics Code Authority (CCA) veröffentlichte, deren restriktive Bedingungen manche Story so sicherlich nicht zugelassen hätten. Insofern ist es auch verständlicher, daß zwei der Kung Fu-Taschenbücher
(#5/6) auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften wanderten...
  

CAPTAIN AMERICA UND... TANTE MAY IN KUNG FU


Ein absoluter Höhepunkt der Kung Fu-Reihe ist der Nachdruck von Tales of Suspense #85 im dritten Taschenbuch, findet sich darin doch das einzige von Williams veröffentlichte Captain America-Abenteuer (ein Kampf gegen Batroc
INFO) - ein Umstand, der der Tatsache zu verdanken ist, daß die Geschichte von Marvel USA in The Deadly Hands Of Kung Fu
#5 zweitverwertet worden war. 
Neben Tales of Suspense #78 (veröffentlicht in HIT Comics
#14/16/18) ist dies das einzige Solo-Abenteuer des Rächers, das von BSV und Williams veröffentlicht wurden.

Weitere, etwas versteckte "Höhepunkte" in den Taschenbüchern sind ein Kurzauftritt von Matt Murdock (TB
#4, Story 4, 2 Panels) und, für alle ihre Fans J, ein Kurzauftritt von May Parker und Anna Watson im fünften Taschenbuch (1 Panel).
 

EIN GEWALTIGER AUFWAND, DER SICH NICHT AUSZAHLTE


Abschließend ein paar Worte Worte zur Umsetzung von Williams, der Schritt vom großformatigen US-Magazin zum kleinen deutschen Taschenbuch-Format. Wäre Williams den "normalen" Weg gegangen, hätte man unmöglich ein hochwertiges Produkt schaffen können, man hätte einfach gnadenlos die US-Vorlagen auf das Taschenbuch-Format verkleinert, mit dem Resultat, daß jegliche Details der Zeichnungen kaum noch erkennbar gewesen wären und der Platz für die Texte auf das Condor-berüchtigte Minimum reduziert worden wäre. 

Aber Williams wäre nicht Williams gewesen, wenn man so vorgegangen wäre und daher wählte man einen gänzlich anderen Weg:
Die Original-Panels wurden gar nicht oder nur wenig verkleinert, sondern aufwendig auf das kleinere Taschenbuch-Format ummontiert, das heißt, es wurden jeweils nur einige Panels einer Original-Seite für eine (ganze) Taschenbuchseite verwendet; häufig wurde auch eine 1/2 Originalseite 1:1 auf zwei gegenüberliegende Taschenbuch-Seiten gedruckt.
 
Damit ergibt sich aber auch ein Nachteil, der so typisch für geklebte Bände ist: Die Zeichnungen können bei Doppelseiten nur mit einer gewissen Einschränkung betrachtet werden, will man die Klebung nicht aufbrechen. Zudem ist die Lesereihefolge nicht immer sofort klar, da Williams die Panels teilweise massiv ummontieren mußte, was die Orientierung mitunter erschwert.
Durch diese ungewöhnliche Vorgehensweise von Williams verteilt sich 1 Story meist auf ca. 40-45 Seiten, bei überwiegend 4 enthaltenen Storys pro Taschenbuch. 

So stellt sich die Frage, warum Williams diesen enormen Aufwand überhaupt auf sich nahm, denn betriebswirtschaftlich gesehen war er fragwürdig. Sinn hätte er allenfalls gemacht, wenn sich die Taschenbücher verkauft hätten wie die berühmten "warmen Semmeln", aber warum hätte der Markt Williams das Produkt aus den Händen reißen sollen? Allein wegen dem "Modethema" Kung Fu und das auch noch in Schwarz-Weiß?
Entscheidender ist, daß sich für die Käufer daraus nicht wirklich ein Preisvorteil ergab: Die zumeist nur 15 Seiten umfassenden Original-Storys hätten in der sonst üblichen Aufteilung 1 Hauptstory & 1/2 Nebenstory gut in einem Standard-32-Seiten-Heft Platz gefunden; 3 Storys hätten somit im Heftformat DM 2,80 gekostet (Heftpreis 1976 war DM 1,40), dem gegenüber stand ein Taschenbuch-Preis von DM 3,80 für 4 Storys plus etwas redaktionellem Material.

Ein Fazit muß also lauten, daß das ganze Projekt Kung Fu ein etwas inkonsequenter Versuch war, das Produkt Marvel Comics auch im Taschenbuch-Format zu veröffentlichen, noch dazu wählte man dafür eine neue Serie mit in Deutschland gänzlich unbekannten Helden aus. Vermutlich hat Klaus Recht für die enorm zeitaufwändige Ummontierung den Redakteuren keinen Pfennig mehr bezahlt, die Redakteure wollten aber an dieser Stelle offensichtlich nicht von ihrem hohen Qualitätsanspruch abrücken. Interessant wäre es zu wissen, von wem bei Williams die Idee für die Taschenbücher ausging, die ja ein Prototyp für die geplanten Spinne-Taschenbücher waren.

Für Williams ergab sich ein kleiner Vorteil aus der zweimonatigen Veröffentlichungsweise, denn dadurch konnten die Taschenbücher entsprechend länger am Kiosk ausliegen und Käufer finden. Für die Leser hingegen blieb eigentlich nur der Vorteil weiteres - und noch dazu top-aktuelles und dem Zeitgeist entsprechend angesagtes - Marvel-Material zu erhalten, wenn die Taschenbücher für die Käufer unterm Strich auch nicht günstig waren. Zweifellos wäre es schöner gewesen, hätte Williams wie bei Planet der Affen das US-Magazin-Format übernommen, allerdings schreckte der PdA-Magazin-Preis DM 2,50 auch vom Kauf ab, war vielen Fans schlicht zu teuer gewesen.

Was aber zweifellos bleibt, ist, daß das Projekt ein weiterer mutiger Versuch von Williams war, für den wir Fans dankbar sind, heute vermutlich mehr denn je...
 
 
Gernot Zipperling, 27.03.03 & 04.12.2008

 
 
 

ALL IMAGES AND CHARACTERS  TM & © MARVEL ENTERTAINMENT, LLC

 REZENSION  © 2008 GERNOT ZIPPERLING